Mittwoch, 19. Oktober 2011

Das neue twitta ist das alte Usenet. Ein Experiment.

Da ich länger "Online" bin als die meisten der heutigen Protagonisten auf twitta das Internet überhaupt kennen oder nutzen, habe ich mir in den letzten 2 Monaten den Spaß gemacht mal im deutschsprachigen twitta unterwegs zu sein.

Zunächst bin einfach allem gefolgt was so da war, und dann denen, denen diese folgen. So kommt man übrigens schnell auf ein paar hundert denen man folgt, aus denen ich dann alle, die offenbar unter 25 sind wieder entfernt habe, es sein denn sie sind witzig.

Ich habe sogar ganz kurz auf Amen vorbeigeschaut, aber dessen dadaistische Reduktion auf Hülsensätze finde ich noch sinnfreier als meine Zeit auf twitta zu verschwenden.

Welches Resümmee läßt sich also nach 2 Monaten ziehen?

Positiv:
  • Man trifft ein paar alte Bekannte aus der Steinzeit des deutschen Internets wieder und kann mal schaun was aus ihnen geworden ist, das ist schön.
  • Es gibt echte Wortartisten, die sehr schöne Poesie in 140 Zeichen unterbringen können. Respekt!
  • Es gibt echte Spaßvögel (die meistens in Berlin beheimatet sind), die super Sprüche raushaun.
  • Es gibt wirklich gute Infos über Podcasts, die ich nie ohne twitta gefunden hätte.
  • Es gibt Nachrichtenticker die wirklich hilfreich und lustig sind.
  • Es gibt nur ein Blog das nicht von jemandem gefüllt wird der "was mit Medien" macht, und das sich zu lesen lohnt: #fefe's blog. Er hält den Geist, den Intellekt, den Esprit und die Komik der Anfängerjahre des Internet aufrecht. Kompliment. 
Negativ:
  • 95% ist Schund, man muß mit viel Aufwand die Perlen zwischen den Säuen suchen.
  • Die twitta Hülsen "Aus Gründen.", "Irgendwas mit...", usw. sind zunächst ungewohnt, dann  lustig, dann langweilig, weil sie sich ständig wiederholen.
  • Die twitta Meme "Mett", "fett", usw. sind anfangs lustig, dann langweilig, etc. pp. siehe oben.
  • Es gibt zu viele Katzenliebhaber und Katzenbilder. Wenn ich die sehen will gehe ich nach 4chan oder ins Zoogeschäft. Warum soll ich mir das nocheinmal alles auf twitta anschaun?
  • Es gibt zu viele Wichtigtuer, die schon "2-3 Jahre" auf twitta sind, sich selbst für lebende Legenden halten und hier ihre Lebenszeit verschwenden.
  • Es gibt zu viele Wichtigtuer, die einen Blog ins Internet rotzen und glauben sie retten die Welt damit. Blogs oder die Blogosphäre sind aber bestenfalls nur öffentliche Tagebücher und die haben noch nie die Welt gerettet oder irgendjemanden außer der unmittelbaren Umgebung interessiert. Und genauso ist sie, die deutsche Blogosphäre: Weitestgehend uninteressant. (Ausnahmen bestätigen die Regel und die Konnotation mit Douglas Adams Mostly harmless durchaus gewollt.)
  • Die meist unter 21 jährigen twittern einen Scheiß, das ist einfach unglaublich peinlich. (Vmtl. weil ich einiges davon früher selber gedacht habe, ohne es potentiell Tausenden von gleichaltrigen Fremden zum Lesen zu geben. Aber ok: Jede Generation macht sich selbst so lächerlich wie sie kann, und die verfügbaren technischen Mittel es hergeben.)
  • Einige Bilder die da einige Jungs & Mädchen mit ihrem Handy von sich selbst machen, und nach twitpic & co. hochladen grenzen an intellektuelle Körperverletzung.Wie doof kann man sein, zu glauben das wenn man etwas im Netz löscht, es wirklich weg ist? Medienkompetenz sollte mit IT Kompetenz einhergehen: In Datenbanken wird nichts gelöscht! Es wird nur als gelöscht markiert, und was sonst mit den Inhalten geschieht, weiß der Admin allein... (wer kennt noch den #bastardoperatorfromhell?)
  • Wenn Du nicht meiner Meinung bist entfolge ich dir! Diese Höchtstrafe auf twitta, ist vergleichbar mit dem .killfile der alten Usenet Tage. Nach diversen shitstorms, die im Usenet noch "flame wars" hießen, wurden die meisten reader clients so erweitert, das man das diejenigen die heute Trolle heißen, in eine Datei namens .killfile schreiben konnte (damals war ja noch alles unter unix, Windows und Internet ging noch nicht, weil es gar kein Windows gab... ;-) und schon war derjenige aus den Meldungen verschwunden/ausgeblendet.
  • Wenn ich mir vorstelle das meine Kinder demnächst auch da rumhängen, kriege ich 'ne Krise. Aber ok ich bin ja hier um mir den Dreck anzuschaun, damit ich nicht aus allen Wolken falle, wenn der Nachwuchs flügge wird... #hach oOo m(
Das Schöne ist, wie die twitta Gründer die Ideen des Usenet in ihrem Modell wiederbelebt haben, nachdem Usenet dann fast nur noch zum Versenden von alt.schweineries genutzt wurde, so Mitte/Ende der 90er..und daher ist twitta eine gute Idee, wenn man die Zahl derjenigen denen man folgt und somit seine TL sehr sorgfältig begrenzt. Ansonsten ist twitta nur eine neumodische Kopie dessen, was der gute alte Gene Spafford damals schrieb, als er sich endgültig aus dem Usenet zurückzog: "...large amounts of excrement, when the least you expect it."

Ich habe mich ein paar Jahre später als spaf, so um 1997 aus Gründen zurückgezogen, so wie es viele der damaligen "Gründerväter" getan haben. Mal schaun ob ich das Experiment fortsetze...